Ich kann lieben

 

Gebirge

 

Samara hatte ihr dazu geraten. Reinhard erklrte sie fr verrckt.

Nicht ein SMS war von ihm angekommen, seit sie in den Bergen war und kletterte, was das Zeug hielt, tatschlich wie eine Verrckte, wenn sie ehrlich mit sich sein sollte. Wer soll schon ehrlich sein? Einen ehrlichen Menschen wollte sie einmal sehen, einen einzigen. Zahlen waren immerhin verlsslich. Die Sache mit der Wahrscheinlichkeit. Den einzigen Grund, warum sie in ihrem Beruf Erfolg hatte, musste sie ihrer Kenntnis der Wahrscheinlichkeitsrechnung zuschreiben. Reine Mathematik. Die anderen beherrschten es einfach nicht so wie sie. Es bildetet in jedem Kundengesprch die verlssliche Grundlage. Nur die anderen waren erstaunt, warum ihre Geschftsabschlsse auch nach Jahren noch immer bemerkenswert im Plus standen. Allerdings hatte sie der Mathematik von Beginn an den Faktor X beigestellt. Diesen Faktor konnte sie sich selbst nicht vollstndig erklren. Er zeigte sich wie eine Spur aus dem Jetzt, ein Pfad, der sich vor den Fssen in die Zukunft schlngelt, manchmal gerade, manchmal verschroben. Wie ein Super 8 Film flimmerten die Stationen der Kundenbiographie vor ihrer Retina. Oft sah sie etliche Menschen den Weg kreuzen, Fahrten durch Gelnde und auch ausserodentliche Ereignisse, wie Unflle oder Krankheiten. Sie wusste, dass die anderen Kollegen sie heimlich beneideten. Reinhard allerdings nicht. Er hatte keinen Ehrgeiz. Aber er sass ja auch nicht jeden Tag mit ihr im gleichen Bro. Und Neugier fehlte ihm vollstndig. Whrend die Gedanken immer wieder um Rendite, Reinhard und Samara kreisten, stapfte Grit den schmalen Felsgrat immer weiter in die Hhe. Allein im Gebirge. Das war eigentlich eine Unmglichkeit, aber der Bergfhrer hatte sich am Tag ihrer Ankunft den Knchel verstaucht und seine Vertretung war ihr beim Hndeschtteln so unsympathisch vorgekommen, dass sie dankend ablehnte. Sie bentigte Ruhe, nach jahrelangem, problemlosen Ineinandergreifen der feinen Zahnrdchen. Alltag. Sie hatte bis heute zu funktionieren gewusst. Alles stand jeden Morgen neu an seinem ihm zugedachten Platz und fgte sich reibungslos in den bestimmten, zweckmssigen Ablauf. Warum nur hrte sie immer wieder die seltsame Stimme der Grossmutter: gib auf die Steine acht, Kleines, auf die Steine.“ Die anderen Mdchen hatten ihre Puppen, zu den Puppen die Kleidchen. Sie hatte als Kind die Steine. Herzsteine in allen Grssen: ist das ein Herzstein?“ fragte sie immer wieder. Der Weg zog sich unter eine Felswand geduckt weiter nach oben, wurde steiler und beschleunigte Atem und Puls. Was treibt zur Eile an? Das Unerledigte? Das Geschiedene? Ein gemaltes Felsenplateau sagte: Setz dich jezt hin und schau mal. Ein blutroter Storchenschnabel lchelte ihr auffllig zu. Die Felsenbirne kauerte sich verschmt an die aufgetrmte Wand. Wo sind die Gmse? Hier sollten doch Gmse sein! Herrjeh, die sind nie dort wo es strzt“ nuschelte das Felsenschtchen und dachte das Latein zu Ende. Die Zauneidechse floh panisch durch die Fsse nach links und fiepte: „ Wo es strzt, wo es strzt!“ Dann wurde es dunkel auf der Retina. Sie dachte: Das ist der blinde Fleck. Im Steingewitter brach der Fels und grollte sich abwrts. Ein Kleid in seltsamen Mustern flimmerte das Tal hinab, flatterte bunt durch die Steinmassen und kam weit unten zum erliegen. Eine Staubwolke verhllte die Gedanken. Ein einzelner schob seinen Fhler vor: Der blinde Fleck. Immerhin lag sie oben. Die Extremitten waren ungeknickt. Etwas kam in Wellen, flutete ber sie hin, strmte ab, das Felsenmeer, kam es ihr, macht so. Es war ihr Atem.

Was wird nur Reinhard dazu sagen! Samara kann damit ja umgehen, irgendwie, aber Reinhard? Du httest auf ihn hren sollen, ihn ein wenig ernst nehmen, dann lge keine zerfetzte Fahne im Gebirg!

Grit tanzten die Worte irgendwo am Haaransatz herum.

Wenn du Glck hast, ist nichts Wesentliches gebrochen, Schrfungen hie und da, neue Muster im unsglichen Kleid, eine kleine Verstauchung, der ein oder andere blaue Fleck, wenn du Glck hast, sage ich.

Grit wackelte mit dem linken grossen Zeh.

Die Beine sollten schon in Ordnung sein, kein Fels liegt drauf, berhaupt kein Fels auf dir, mach mal die Augen wieder auf. Was siehst du? Weiss auf Blau, Blau auf Weiss? Es lchelt nur so auf dich runter.

Grit folgte einer bauschigen Wolke bis sie sich in einer Bergspitze verfing. Offenbar lag sie rcklinks auf einem Haufen Felsbrocken, die Glieder abgespreizt, als wolle sie die Welt empfangen, einige hundert Meter tiefer im Tal. Das Felsenplateau war verschwunden. Der Weg zum Gipfel, wenn es ihn gegeben haben sollte, musste unter dem Gerllfeld begraben liegen. Grit zog die Beine an und setzte sich mhsam auf. Das Handy zeigte einen feinen Riss im Glasdisplay. Kein Empfang. Sonst schien alles in Ordnung. Der Rcken knackte etwas beim Aufrichten.

Das wird Dir bleiben. Der Schmerz auch!

Sie strich sich den Staub von Armen und Beinen, zupfte an ihrem Kleid herum und stand endlich auf. Sofort wusste sie es. Jemand hatte ihr eine Klammer um den Kopf verpasst und ber den Rcken ein Muster. Ich falle aus der Gattung raus, keuchte der Atem, dann sthnte etwas laut.

Nicht wieder hinsetzen. Bleib stehen. Es wird nicht weniger.

Mensch. Wie sollte sie so nach Hause kommen? Die Knochen.

"Los jetzt, wir haben keine Ewigkeiten Zeit"

Grit setzte einen Fuss vor den anderen. Links-rechts, links-rechts. Das schien zu funktionieren. Anfangs knackte der Rcken bei jedem Schritt. Dann bemerkte sie, wie der rechte Fuss auf den Boden aufgesetzt werden musste- ein klein wenig sanfter. Mann o Mann. Whrend sie so ber die Gerllhalden hinweg schlurfte, stellte sie eine Art Ungleichgewicht fest.

"Ja, das eiert ganz schn" tnte es wieder von hinten. "Halt doch endlich mal deinen vorlauten Mund", hrte Grit

sich sagen.

"Na Na Na. Wer will denn da gleich die Fassung verlieren?"

"Wer bist Du eigentlich, du Knarz Stimme?"
"Knarz Stimme? Warum gibst du mir dann kein Wasser?"

Grit drehte sich endlich um. Was sie da sah wollte sich auf der Netzhaut nicht richtig scharf stellen lassen. Steine. Aufgetrmte Steine. Irgendwie zu einer komischen Gestalt zusammen gesetzt. Granit, der sprechen konnte. Sie versuchte die Augen oben zu finden und fest zu fixieren. Blinzelte das? Blau.

"ja da staunste was"

"nenene staunen trifft es nicht genau; was willst du von mir?"

"was ich von dir will?"
"bist du ein Papagei, oder was?"

"seh ich aus wie ein Papagei? Keinesfalls, also was will ich eigentlich?"

"Mann o Mann, du bist nicht der Hellste, wirklich nicht"

"wie stehts mit dem Wasser? kein Mensch kann mit so einem trockenen Mund sprechen"

"Du bist kein Mensch"

Warum eigentlich nicht, ich unterhalte mich gerade mit dir"

"das reicht aber nicht, um Mensch zu sein" "Soso meinst du- was fehlt denn dann?"

Grit zgerte. Dann kramte sie die Wasserflasche aus dem Rucksack und reichte sie in Richtung Stein.
Mit dieser uns
glichen Hand grabschte das Steinding die Flasche und fhrte sie ins Gesicht. Da wo der Mund zu vermuten war gluckerte es hinunter. Grit konnte es sich nicht verkneifen und schaute hinunter auf den Boden. Doch da blieb es vollstndig trocken. Einen Augenblick spter war der Wasserproviant aufgebraucht.

"so, jetzt kanns weitergehen" brabbelte es und rlpste. Mann o Mann.
Diese ungleiche Zweiergruppe setzte ihren Weg talab fort, leicht hinkend, leicht torkelnd und so ziemlich langsam. Hartn
ckig schwieg Grit. Sie wollte nicht ein einziges Wort mehr reden. Was sollte das denn? Sie drehte sich nicht um und versuchte verbissen die Geschwindigkeit der Schritte zu erhhen, allein der Rcken liess nur eine bestimmte Anzahl zu. Viel zu wenig. Jedenfalls um diesen Begleiter loszuwerden. Das Klackern und Klopfen hinter ihr wurde nicht leiser. Im Gegenteil. Es begann sich in ihrem Kopf festzusetzen. Was fr ein Hall. Der wuchs mit dieser Klammer mehr und mehr zusammen. Wenn das mal keine Migrne ist, dachte sie. Nun. Vielleicht wrden Medikamente ansprechen. Es gab doch Medikamente gegen Migrne. Aber die mussten immer rechtzeitig verabreicht werden. Bei ihr war es vielleicht schon zu spt. Die einzige Mglichkeit, den grossen Anfall aufzuhalten, war mglicherweise im Moment der Abreise von zuhause vertan worden. Seis drum. Keiner der rzte hatte sie bisher berzeugen knnen. Da es aber dieses Wort nun einmal gab, musste ja irgendetwas dahinterstehen. Heilung. Heil. Heile Welt. Wie konnte das mglich sein? Wenn man darber nachdenken wollte wurde es immer so unruhig, dass sie augenblicklich wieder davon abliess. Grit hatte hier keinen Pfad, der sich in die Zukunft schlngelte. Das Rtsel war nun einmal da, ob man darber nachdenken wollte oder nicht. Es kam ihr bisweilen gefhrlich nahe. Der Spaziergnger whnte sich vielleicht in Sicherheit, geht den gewohnten Weg durch nahen Wald. Er will nicht glauben, dass diese Gerusche von den Wlfen kommen, ein Knacken, ein Wispern, manchmal ein Heulen. Man verstopft das Ohr. Zuhause angekommen, wartet der Alltag, Vorbereitung immer auf irgendwas. Aber es gab auch ihn: den Wolf im Schafspelz. Aus der Cafetasse. Dem Bgeleisen. Der Schranktr.

Da klingelte das Handy. Grit kramte in der Seitentasche und entsperrte.

"Liebling, Gott sei Dank, Gritchen, Kleines, wie gut, dass ich Dich erreiche, wo bist du denn, wie geht es Dir?"

Die Stimme der Mutter klang verzerrt, ein leichter Doppelklang. Und hoch, sehr hoch.

"Mammi, gut gehts, recht gut. Ich bin schon auf dem Rckweg aus den Bergen, alles in Ordnung"

"Bist du gesund" fragte Gisela eindringlich. "Vater lsst dich grssen"

"Ja Mammi, es geht schon, die Berge sind grossartig, eindrucksvoll"

Aus ihrem Rcken klapperte es.

"Steinschlag haben die gezeigt, Gritchen, richtige Lawinen, da wo du wanderst, aber keine Verletzte, gehts dir wirklich gut?"

Die Mahlgerusche von hinten wurden laut.

"Was macht denn da so, ich kann dich kaum verstehen"

"Die Strasse Mammi, ich stehe an der Strasse. Sag Papa einen Gruss. Ich komme euch besuchen, sobald ich zurck bin. Ksschen"

Grit warf den Kopf in den Nacken und seufzte.

"Das wird so nicht funktionieren" schnarrte es. "Gar nicht funktionieren"

"Was weisst du schon von solchen Sachen Steindings. Str mich nicht beim Telefonieren"

Da schlug es vor ihr ein. Ein Felsbrocken rollte rechts den Abhang hinunter. Dann ein zweiter, grsserer, knallte vorne auf den Weg.

"Warst Du das?" rief Grit, als der nchste Block ber ihren Kopf segelte und drehte sich um. Das Ding hatte seine Farbe verndert. Irgendwie rtlich.

"ich bin kein Ding, kein Ding" schepperte es gegen die Brust. Die Rippen vibrierten unangenehm.

"Was denn dann, du Steinfigur, was denn, schrie Grit" Die Stimme berschlug sich.

"Du hast mir keinen Namen gegeben, Grittchen, noch gar keinen Namen" schmetterte der Stein auf sie.
Dieses Zittern. Der K
rper schlotterte bedenklich.

"Wie willst du heissen, Grosser? Benedikt? Hassan? Rdiger?"

"Ich will heissen wie Du. Ich will Grit heissen!"

Kommt nicht in die Tte. Das geht nicht.

"Ich will Grit sein"

"Hr auf damit. Es gibt schon eine Grit. Es braucht keine zweite"

"Du bist lieblos"
sagte der Stein pl
tzlich ganz leise und wurde wieder grau.

"Was verstehst du schon davon. Warum gehst du nicht zurck in die Berge? Jeder kleine Gipfel hat da seinen eigenen Namen, jeder noch so mickrige Pass"

"Das geht nicht mehr" brummte es missmutig. "Du hast mich doch gerufen"

"habe ich nicht"
"und jeder Ruf wird beantwortet, das kann ich dir sagen"

"Hartnckig bist Du schon. Du willst einen Namen? Also gut. Ich werde dich vorlufig Mannorino nennen"

Es klackerte ein wenig. "Mannorino?"

"Ja genau. Du bist Mannorino der Erste. Aber den Zusatz werde ich weglassen. Mannorino kann immer noch zurck in seine Steinwelt, es ist noch nicht zu spt dafr. Ruf hin oder her.

"Du verstehst gar nicht so viel" nuschelte Mannorino "gar nicht so viel"

"Ist klar. Aber du. Du verstehst die Welt"

"ein wenig schon- ich habe lange gewartet, da bekommt man so einiges mit"

"Zum Beispiel?"
"Zum Beispiel bist Du gar nicht richtig gl
cklich, nicht

so, wie Du es sein knntest"
"Ah. Doktor Mannorino hat Psychologie studiert und

blttert in den Handbchern. Soso"

"Deine Kleider beispielsweise"

"Was ist mit meinen Kleidern?"

"Du weisst nicht, warum Du sie whlst"

"Immerhin hab ich welche, Mannorino, Kleider, die mich bedecken"

"sie passen aber gar nicht zu Dir, passen gar nicht" "so, findest du"

"ja du siehst so lustig darin aus, so sprde, als ob jemand mit dir spielen wollte, dich auf ein Sofa setzen wollte, wie ein stummes Ding""

"Du spinnst. Du hast zu viele Sommer in der Hhensonne gebrutzelt"

"Nun ja, die Sommer sind schon speziell gewesen, als ob jemand dir auf den Grund sieht, aber das ist eine andere Geschichte"

"Blablabla, weiser Mannorino, ich gehe jetzt weiter, letzte Chance in deine Urwelt zurck zu wackeln"

 

Das seltsame Gespann setzte sich wiederum in Bewegung, hielt sich rechts vom Bach, der die Zustrme von den Gipfeln nacheinander alle in sich aufnahm und anwuchs. Es fand sich ein Begleiter hoch oben in den Lften. Dort zog der Aar ruhige Kreise, malte unsichtbare Linien ins flockige Blau. Der Wind zerstreute die Wolken, strich sie geduldig aus, bis nur noch feine, weisse Streifen ber den Himmel geflochten waren. Die Klammer um Grits Kopf lockerte sich ein wenig und entliess Gedanken nach oben. Flatternd und kreischend stieben sie in alle Richtungen fort, ziellos, wild. Nicht zu deuten der Flug. Einer der Vgel verfing sich in Mustern von Stoff, streifig, kariert, wollte nicht mehr freikommen. Er liess sich zwischen den Puppen nieder, zupfte am Stroh, rupfte heraus was das Zeug hielt. Gisela schrie: "jag das weg, treib sie raus!" "Mutter, lass es einmal gut sein" "Bald werden sie ganz fort sein. Ja, wenn sie alles zerstrt haben, alles zerfetzt. Ich will das sie ganz bleiben, dass sie immer bleiben, wie ich sie hingesetzt habe, mit geradem Rcken und gefalteten Hndchen" "Mutter! Es ist keine Puppenzeit mehr! Die Zeit der Puppen ist zu Ende. Gib sie endlich auf" "Niemals! Mein kleines Gritchen. Nie" "Ach Mutter"

Ein anderer Vogel mit grnem Gefieder strauchelte auf der Weite von Getreide. Gerade dort wo Musik spielte. Ein Cello im Roggen. Er versuchte mhsam die Flgelspitzen im Takt zu bewegen. Es sollte doch gelingen, diese Sarabande zu tanzen. Kleiner hinkender Vogel.

Der dritte, graustichige, segelte langsam in die Schneisen einer Stadt. Wie in Zeitlupe eierte er auf einen Balkon zu und traf die Mitte der Glastre. Boing. Keuchend fiepte er Tne. Aber es kam niemand raus. Kein Schlchen Wasser stand bereit. Der Vogel zerfloss.

"Du hast das nicht im Griff, gar nicht im Griff, Grit" murmelte es aus dem Rcken heraus.

"Mannorino! Kluge Kommentare abgeben, den Senf immer dazu geben ist nicht gerade originell. Alle knnen das tun"

"Zuerst mssen sie alle zusammenspannen. Deine Vgel. Die haben nicht die Bohne von Disziplin beim Fluge"

"Disziplin? Was weisst Du von Disziplin?"

"Genug, Kleines, genug. Sogar Schmetterlinge haben davon mehr als Du. Die kommen ber die Alpen, kann ich Dir sagen, ber die Alpen kommen die, aber nicht wie Dsenjger, gar nicht so plump, die whlen den Abflug geschickt, ntzen den Fhn, treffen genau den Moment. Dann segelt die Schmetterlingswolke in die Hhe. Ihr wisst gar nichts davon. Das lsst sich nicht ausrechnen"

"Schmetterlinge ber die Alpen?"

"Klar! Aber die Vogelschwrme knnen mehr. Lnder rutschen unter denen dahin, whrend sie in Formation gleiten, der eine an der Spitze hat den Plan, den Kompass in den Brustfedern, die andern im V dahinter, wie schn ist das denn, Grit, das Schnste was ich gesehen habe dieses V"

"Mannorino Du berraschst mich wirklich. Warum bist du nicht dageblieben? Jahr um Jahr knntest du weiter trumen. Kehr doch mal um. Geh endlich zurck"

"Den Plan haben sie noch nicht, deine Vgel. Manche haben nicht mal ein Ei gelegt. Geschweige denn, dass es gewogen wre. Mancher Wunsch wiegt schwer. Zu schwer fr das zarte Federkleid. Dein Vogel strauchelt. Er trgt zu schwere Last"

"Mein Gott Mannorino. Du kannst wirklich nerven"

"Grss Gott!"
rief eine gebrechliche Stimme von vorne. Grit und Mannorino drehten sich verdutzt um. "Ist alles in Ordnung bei Ihnen? Im oberen Tal ist Steinschlag, schon den ganzen Tag, man weiss nicht, ob jemand versch
ttet wurde. Es gibt schon Wanderer um diese Zeit da oben" "Bei uns ist alles so etwas von in Ordnung, besser geht es gar nicht, das sehen sie doch" ging Mannorino den Mann an. Grit verzog unwillkrlich das Gesicht. Der Alte wandte sich an sie, fragte noch mal. "Ist wirklich alles in Ordnung?" Grit konnte nur mhsam sprechen. Sie musste die Worte aus dem Mund herausschieben. "Ja. Es geht schon. Nichts fr ungut. Wir sind auf dem Heimweg"
"Ihr Kleid hat einen Riss hinten, wissen sie?"
"Wir m
ssen weiter" blaffte Mannorino, nahm Grit an der Hand und zog sie am Alten vorbei. Der blieb noch eine Weile stehen und schaute.
Grit konnte ihre Hand nicht aus dem Stein herausziehen. Er stapfte so schnell talab, dass sie stolperte.

"Stopp!" kreischte sie mit voller Stimme.

Mannorino liess los. Gritt verlor das Gleichgewicht und strzte auf den Weg. Es krachte etwas in den Beinen. Das rechte Knie war aufgeschrft und blutete. Sie riss einen Stofffetzen aus dem Kleid und legte ihn ber die Wunde. In der Kniekehle machte sie einen Doppelknoten.

"Was ist los mit Dir? Mannorino? Der zeigte ihr den Rcken. Schwieg. "Was hast du?"

"Wir haben gerade gesprochen" "Und?"
"Der Alte hat gest
rt"
"Und?"

"Ich lasse mich nicht stren"

"Ach so. So einer bist du. Das wird nicht funktionieren. Gar nicht funktionieren. Menschen stren sich. Geben sich trotzdem normal Antwort"

"Normal Antwort" nuschelte der Stein "ist es das, worin du gut bist, normal Antwort geben?"

"Ich kann es immerhin, wenn es ntig ist. Du solltest das lernen"

Die beiden wackelten am Bach entlang. Sprachen kein Wort. Grit dachte: mehr humpeln geht nicht. Was sollte sie zuhause sagen. Am besten gar nichts. Alle Fragen einfach ignorieren. Zum nchsten Punkt bergehen. Das hatte sie doch in den Seminaren trainiert. Mit Samara wrde es allerdings kaum gehen. Sie hatte ihm schon etwas von sich gezeigt. Den anderen natrlich auch. Reinhard kannte einen Teil, aber das waren berwiegend Rollen, die sie spielte. Nicht alles. Bei der Mutter schon. Da gab es Versuche auszubrechen, ein Fenster aufzureissen, etwas zu zeigen. Das hatte nicht funktioniert. Nhe wollte sich nicht einstellen. Grit wusste nicht richtig, was das sein knnte: Nhe. Wie es sich anfhlt. Wieder dieses Quadrat: 6x6 Meter. Wohnzimmer genannt. Diesmal von oben. Drinnen ein kleineres Rechteck. Den Teppich hatten die Eltern whrend eines Urlaubs in der Trkei gekauft. Da hatte sie sich schon draufgesetzt, im Geschft. In der Ecke sass der Mann mit den dunklen Augen. Schwarz. Glnzend. Ihr eigenes Spiegelbild kam ihr entgegen, als der Mann sich niederbeugte und ein Gebck hinhielt. Sie sah sich lchelnd in den schwarzen Augen. Leise Musik drang durch den Vorhang hinten in der Ecke. Grit lste den Keks im Mund auf, machte nichts mit ihm. Wartete einfach, bis die Ssse sich immer mehr entfaltete. Spter nannte sie es Glck. Immer wieder suchte sie danach im Wohnzimmerquadrat. Setzte sich genauso auf den handgewebten Zauberteppich und wartete. Es blieb still. Dann holte Grit die Puppen. Sie umarmte alle auf einmal weg von der Couch. Ein Kleidchen nach dem anderen wurde ausgezogen. Auf die Knpfchen. Gib auf die Knpfchen acht. Ja. Ihr kleinen Knpfchen geht jetzt auf. Die Kleidchen lagen im Kreis, entblttert. Eine Sonnencorona von Mustern. Und in der Mitte das nackte Stroh. Mit Draht zusammengehalten. Knnte dies Schnheit sein? Die Elemente regelmssig zum Zeichen geordnet? Von oben sieht man die Mutter kommen. Sie bleibt stehen, erstarrt. Es bleibt lautlos. Doch da mssen Schreie sein. Die Hnde fuchteln seltsam. Eine trifft Grit ins Gesicht. Man meint, das Kpfchen hnge. Dann kommt eine Schwarzpause. Spter auf der Couch sitzt die Mutter mit der Tochter. Auf dem Schoss. Trost und Ermahnung. Ermahnung und Trost. Beides findet seinen Weg nicht. Das Herz bleibt still. Das Ungelste bleibt zurck. Diese Mahnung wenigstens. Vielleicht nicht vergeblich. Der Salzgeschmack. Spter sollte er sich von Zeit zu Zeit erneuern. Schon lngst aus dem Quadrat entwichen, fand er immer wieder Momente, hervor zu quellen, auf der Ratlosigkeit den bitteren Klang herauszulsen. Pampelmuse. Nie verstanden, wie man die essen konnte. Pampelmusenzeit. Reinhard. Reinhard Strk. Der htte sie vielleicht essen knnen. Sie brachte immer mal wieder welche vom Einkauf mit, drapierte sie verdchtig regelmssig in der Steinschale. Die Pampelmusen nahmen einfach nicht ab von der Zahl her. Aber innen. Da wurde dieser Saft gepresst. Die Worte. Grit hatte keine Worte fr diese Welt Dinge. Im Herz. Was willst du denn? fragte Reinhard bisweilen. Was soll ich denn tun? Halte mich. Halte mich fest. Wenigstens. Mehr als zwei Jahre in einer anderen Stadt. Zwei Wohnungen. Zwei Lebenslufe. Zwei Flsse mit eigenem Quell. Maria hatte gesagt: Vergiss den, Grit, vergiss ihn sofort. Das war nach dem ersten gemeinsamen Abendessen. Dieser Schock. Woher nahm Maria Kronauer nach einem Abendessen solche Deutlichkeit. Sie waren in Streit geraten darber. Maria hatte Grit in den Arm genommen. Und wieder. Blieb es verschlossen. Das Innen. Noch mehr Wut quoll hervor. Was bildest du dir ein, so zu urteilen. Ach Grit, du wirst schon sehen. Du wirst an mich denken. Und wie hatte sie es hinuntergewrgt. Das Omen. Mit aller Kraft verdrngt. Fast erfolgreich. So schlecht war sie darinnen nicht. Aber in die Arme von Samara hatte es Grit abgetrieben. Der machte sie jedoch nicht auf. Der hatte sein Cello. Seine Welt. Grit wusste, dass sie dort nicht aufgestellt werden konnte, dass es keinen rechten Platz dort gab, fr sie. Nicht einmal zu denken gewagt. Samara war ihr Freund, nicht mehr und nicht weniger. Aber gelernt hatte sie von ihm. Deshalb blieb es auch nicht still. Quadratisch. Auch das war fr Reinhard ein Quadrat. Du willst am Wochenende zu Samara? Kein Problem. Du gehst auf sein Konzert in Kln? Super. Nicht die Spur von Eifersucht. Wenn du wsstest, dachte Grit, wenn du wsstest. Was ich selbst nicht weiss. Aber dann gbe es andere Formen. Doppelgebogen beispielsweise. Was willst du von mir? hatte Grit Reinhard vor der Abreise ins Gebirge gefragt, eindringlich.

Dieser drei Sekunden Test.
Auch den hatte sie verdr
ngt.
Es war nichts gekommen von Reinhard St
rk. Vielleicht hatte auch er keine Worte.

 

VERRÜCKT

 

Verdammt! Verdammt noch Mal!

Hatte Gritt schon einmal so heftig geflucht? Fahr doch auf die Landstrasse, fahr endlich raus.

Schlimmer als hier wird es nicht sein.

Sie wollte aber nicht auf die Landstrasse, auf gar keinen Fall. Da konnte ja praktisch jeder in der Dorfdurchfahrt ins Auto sehen. Wie war der Steinhaufen berhaupt auf den Rcksitz gekommen? Praktisch unmglich; doch die Stimme von hinten hrte nicht auf.

Stell dich nicht so an, sei doch nicht so stolz!“ Noch weiter holte Mannorino aus.

Du hast doch mal gerade so berlebt, da kann man doch mal ein wenig loslassen Gritchen, las doch los

Halt mal dein Steinmaul, ich heiße Grit fr dich, nicht anders, ist das klar?

Mannorino kniff die Augen zu zwei kleinen Schlitzen zusammen. Es knirschte.

Ich werte das als ein Ja.
Sie nahm die Ausfahrt 30 ins Niemandsland der oberrheinischen Tiefebene.
So, jetzt hast du es. Jetzt schauen wir Mal wie es weitergeht.

Grit hielt sich Richtung Norden am Mittelgebirge entlang, so langweilig wie der Geographieunterricht ehemals.

So schlimm ist es nicht, ist Urgestein, alt, sehr alt“ murmelte ziemlich leise Mannorino von hinten. Kann allerhand Einschlsse haben, Vulkanartiges, direkt aus der innersten Schicht.

Es ist die Schule, Mannorino, die Schule

Nichts ist perfekt, Grit, du bist doch gut durchgekommen, bisher, mal abgesehen von den letzten 24 Stunden- darauf wird man so oder so nicht so recht vorbereitet

Grit musste lachen, es brach aus ihr hervor: Was tun, wenn der Steinmann hinter ihnen her ist: Anmeldung zum Kurs fr Anfnger bis sptestens 4 Wochen vor dem 30 Geburtstag, immer Samstags in der Wildnis...“ Sie konnte sich kaum beruhigen. Mannorino aber drehte den Kopf nach rechts unten.
Das wird hart fr uns beide“ nuschelte er das geht nicht glatt, du hast keine Ahnung, kaum einen Schimmer, du weisst nicht, wie Bruchstellen aussehen, der Schmelzpunkt, wann er kommt

Uh, Rtselerich
50 Kilometer pro Stunde Grit, 50!

Da war es schon passiert. Es blitzte ihr direkt ins Gesicht. 50 Meter spter standen sie schon und winkten sie auf die Seite. Grit liess die Scheibe herunter summen und sagte: Grss Gott

Guten Tag, wissen sie, welche Geschwindigkeit hier erlaubt ist?

50 Stundenkilometer
Und wieviel meinen Sie, sind sie wohl gefahren?

ca. 67
Aha, und warum dies?

Nur eine Unaufmerksamkeit, ich war noch mit etwas anderem beschftigt

das sollten sie aber nicht, dies kann gefhrlich werden und teuer dazu! Mit was waren sie beschftigt?

ich war im Gesprch mit meinem Begleiter“ deutete Grit mit Kopfbewegung nach hinten.

Mannorino lchelte pltzlich usserst freundlich. Fast wurde sie durch den Rckspiegel von seinem Licht geblendet.

es ist wahr Herr Wachtmeister, ich habe die junge Dame abgelenkt mit vielen Fragen, sie kann nichts dafr, es wird nicht wieder vorkommen

das wollen wir hoffen

wir kommen aus den Bergen, da haben wir viel erlebt, sie haben sicher von den Steinschlgen gehrt im Schwarztal, wir sind beunruhigt und haben noch einen weiten Weg

aus dem Schwarztal kommen sie? Es hat dort Verletzte gegeben, manche werden noch vermisst

wir wissen es, Herr Wachtmeister, das Leben hat seine Abgrnde, knnen wir weiterfahren?

Grit staunte nicht schlecht, als der Polizist sie weiter winkte. Was war denn das? Gar kein Geld musste herausgerckt werden. Man muss doch praktisch immer Geld herausrcken. Diese Stimme hatte sie an Mannorino noch nicht wahrgenommen, sie hatte Wrme, klang tief. Sie schaute im Rckspiegel, das Licht war verschwunden und er hielt den Blick nach unten gesenkt. Sie schwiegen.

ich wußte nicht, dass du so lcheln kannst“ raunte Grit nach hinten.

ich kann es nicht, es war nur ein Trick, die Menschen sind leicht zu berlisten

du willst also sagen, dass du nichts gesprt hast, whrend du so rausgestrahlt hast

gar nichts. Ich wollte Dir nur helfen

also hast du etwas gesprt

sagte Grit zu sich hin.

Sie kamen ins Zentrum des Dorfs. Rathaus, Kirche und Cafe. Grit fuhr auf den Parkplatz.

So, aussteigen bitte, wir werden mal eine Pause dazwischen schieben, was meinst du Mannorino?

wenn du willst
wenn du willst“ äffte Grit nach.

Einem Trieb folgend hielt sie direkt auf das Portal der Saalkirche zu.

wir gehen mal zusammen in dieses Gebude da hinein, das Grosse, Aufrechte

Grit merkte nicht, wie stark sie humpelte. Mannorino starrt ihr auf die Hften, die komisch wackelten.

weißt du was das ist“ fragt Grit fordernd.
ein total verlassender Ort Grit“ sagte Mannorino.

So, ein verlassener Ort soll das sein? dann wollen wir doch einmal nachsehen, wie verlassen der ist.

Grit torkelte an den Heilgen vorbei nach innen. Hier war gedmpftes Licht, die farbigen Fenster dmmten den
schon zur Neige gehenden Tag herab zu einem Augenblick des Innehaltens. Die Reihen waren ordentlich gef
llt. Aus den berschnitzten Holzbnken ragten Kpfe hervor. Grit schaute triumphierend zu Mannorino zurck. Der verzog keine Miene und zuckte gleichgltig mit den Schlutern: klack.

Sie nahm mit der letzten Reihe Vorlieb und bot ihrem steinernen Begleiter den Platz neben sich. Als der sich niederließ, knarrte das Holz bedenklich, daß Kpfe sich zu ihnen zurck drehten und schauten. Da trat schon der Pfarrer auf die Kanzel und hob mit der Predigt an. Mannorino ließ seinen Kopf hin und her gleiten, als suche er etwas in den ruhig gesenkten Huptern. Der Stein rieb. Das musste der Atlas sein, dachte Grit und flsterte: Pssst! Der Steinmensch schlug sich mit der rechten Faust auf den Oberschenkel: KLACK! Es wurde unruhig in den Reihen vor ihnen. Grit kniff die Lippen zusammen. "ich bin der gute Hirtewie oft hatte der Priester das Ich-Bin Wort schon wiederholt. Mannorino hatte zwei rote Fuste auf den Oberschenkeln liegen. Dann kam offenbar der Ausblick: "nur ein Gebot gebe ich euch..."  da brckelte Sand auf den Kirchenboden, und die Bank vibrierte. Mannorino stand mit einem Ruck auf und stapfte mit Riesenschritten zur Kirchenpforte. Der Priester schaute und schwieg. Grit folgte dem Steinmenschen ins Freie und stellte ihn in der Mitte des Platzes. was ist dein Problem Steinwste? Kannst du nicht verlieren? Die Kirche war mitnichten verlassen Mannorino, das halbe Dorf sass da drin und lauschte andchtig!“ Mannorinos Gesicht war verzogen, sein Mund war ein Strich. Oh doch. Ein total verlassener Ort ist das, hoffnungslos. Um so schlimmer, dass keiner es merkt. Dass Du es nicht merkst. Die Worte stimmen nicht. Stimmen gar nicht. Wrden sie stimmen, wre der Pulsschlag anders. Kannst Du nicht den Pulsschlag hren, bist du denn taub Grit, ja, bist Du? Der Pulsschlag der Leute da drinnen ist unbeeindruckt, er gibt nichts her. Wach auf Grit! Wach mal auf!

Sie drehte ihm den Rcken zu.

Inzwischen war die Dmmerung hereingebrochen.
Der Hahn auf dem Kirchturm ergl
hte rtlich bevor die Nacht ihn unsichtbar machen wrde und andere Lichter andere Fragen brchten.
Kannst du Auto fahren?“ fragte Grit Mannorino knapp.
„ habs noch nicht probiert, kann nicht so schwer sein“ brummte der Steinmann berrascht.
Zeig deine Hnde, streck sie mal vor, deine Steinpfoten“ Mannorino hielt Grit beide Hnde hin. Die waren noch dunkelrot und wenn man genau schaute sah man es. Du zitterst etwas” stellte Grit fest und schaute Mannorino in die Augen. Der senkte den Blick. der dmliche Priester regt mich auf” nuschelte er nach unten. Grit konnte ihn noch nicht verstehen.
Wir werden hier bernachten; wir brauchen beide eine Pause!
Grit kramte ihr Handy hervor und gab den Namen des Dorfes in die Hotelsuche ein. Ein einziger Gasthof wurde angezeigt , drei Sterne in Holz, 400 Meter vom Standort. Wir fahren jetzt da hin, ok?“ fragte sie rhethorisch. ok dann” schnarrte es zurck.

Mannorino blieb vor dem alten Fachwerkhaus stehen und schaute nach oben. Die Flchen zwischen den Balken machten irgendwie Sinn. Aber welchen? Unter der Dachkannte blieb sein Blick lange haften. sie fhlen sich also auch wohl hier“ murmelte er das htte ich nicht vermutet“ und nachdenklich fgte er an sie bauen Huser bei den Menschen. Mannorino hatte fr Vgel definitiv eine Schwche. Die Bergdohlen hatten schon immer seine Sehnsucht entfacht, ihr Sturz die Felswand hinab, die Flgelspitzen hatten ihn gekitzelt. Die Adler flssten ihm Respekt ein, er dachte sich, dass sie bis ans Ende der Welt shen, wenn sie unbeweglich, stecknadelgross, am hchsten Punkt des Himmels standen. Aber die Schwalben liessen ihn ruhig werden, wenn er ihrem Spiel folgte und die Fluglinien in sich stehen liess. Nachts brtete er ber diesen Linien, suchte sie zu entziffern. Ganz blau schimmerten die Adern da im Stein.

Komm endlich“ holte ihn Grit aus seinen Gedanken. Die beiden schlurften zur Rezeption. Du knntest mir ruhig ein wenig helfen“ sagte sie und schob dem Steinmensch ihren Koffer hin. Der stopfte ihn unter seinen Arm und lchelte.

Ein Zimmer mit Frhstck fr eine Nacht bitte“ hauchte Grit der Frau am Tresen entgegen. Diese schob ihre Brille etwas runter, dann wieder nach oben. „ Wir haben leider nichts mehr frei“ kam die Antwort nchtern zurck. Das kann nicht sein“ hob Grit an, eben war noch ein Zimmer verfgbar“  Eben ist nicht jetzt. Jetzt gibt es keines mehr“ schnarrte die Stimme trocken. Schauen sie, es ist spt, wir sind mde, haben sie berhaupt nichts mehr?“ versuchte sie ein weiters Mal. Vergessen sie es, wir sind leider voll“ raunte das Wesen mit Brille. Da war nichts zu holen. Grit und der Steinhaufen drehten ab.

 

Die beiden setzten sich draussen auf eine Bank.
Ein kleiner Weg hatte sich am Hotel entlang
geschl
ngelt, an einen Bachlauf geschmiegt und war als Brcke ber das Wasser gespannt. Hier standen zwei Bnke, eine flussaufwrts schauend, eine flussabwrts. Lass uns nach oben schauen, hatte Mannorino von sich gegeben und sich nieder gelassen. Grit folgte einfach nach; sie wollte, oder konnte die Gedanken nicht klren. Mdigkeit durchdrang ihre Glieder und Schwere. Schlaf ruhig“ suselte es von links. Haha“ entgegnete Grit.Schlafen, hier mit Dir unter den Sternen sitzend. Der Mond eine Kartoffel. Wie soll das gehen?“ „Grit,Grit,Grit“ suselte es von links; und wieder: Grit, Grit, Grit. Was war das fr eine Stimme? Manchmal konnte es richtig gehend freundlich klingen. Oft schnarrte es nur komisch. Meistens schnitt es irgendwie hinein. Als ob Brotscheiben zur Seite sinken wrden, zum Mahle vorbereitet. Irgend jemand wrde dann Butter drauf streichen und etwas Salz zwischen Daumen und Zeigefinger drber streuen, wie leichter Schnee auf eine Landschaft

im Winter. Oben der Adler, ein kaum sichtbarer, fast unbeweglicher Punkt. Eine Gestalt am Hang entlang, stapfend, eine Linie ziehend. Mit dem Herzen lesbar, der Kopf wie der Ochs vor dem Berg. Ja, Ja. Der Ochs. Du bist wtend, ganz schn wtend” murmelte der Stein. Ich dachte, ich sei mal wtend, aber du schiesst die Taube ab. Wenn ich nicht schmiegsam bin, dann fllt es nicht auf. Aber Du? Ich bin gar nicht so schroff, wenn ich es mir recht berlege. Ich meine verglichen mit dir. Deine Abgrnde sind krass, Grit, krass“ nuschelte Mannorino vor sich hin. Halts Maul, Idiot“ dachte es fr eine Sekunde in ihrem Kopf, wie eine Karte gezeigt wird beim Fussball, die Spieler sind machtlos, wenn diese Karte kommt. Ich habs doch gesagt. Es schlummert in Dir drin. Mir macht das nichts. berhaupt gar nichts. Wut ist eine Sule. Wenn du wsstest was in mir schlummert. Schmetterung. Furchtbar.“ „Zerschmetterung heisst das.korrigierte Grit. Ach Grit. Gritchen“ „Nenn mich nicht Gritchen“ fauchte sie hinaus. Ich nenne dich wie ich will. Das weisst du doch. Ich bin nicht deine Mutter. Natrlich nicht. Trotzdem regst du dich so auf. Ich bin schon gespannt auf sie“ „Du wirst sie gar nicht sehen. Gar nicht. Was meinst Du denn?“ kam es schrfer hervor. Na ja. Ich denke schon, dass es so weit kommen wird. Sie war so hbsch frher, ja sie war schn“ „hr doch auf zu schwafeln“ maulte sie genervt, Ihr Vater der gute hat etwas in ihr zerbrochen, es war nicht gut, dass er zur Post gegangen ist, gar nicht so gut, er war unausgeglichen, der alte Schreihals. Er taugte nicht recht. Seine Ansprche haben es zerknickt. Das da innen” Der Stein klopfte sich auf die Brust. Was ihr wichtig nehmt. Gisela blieb dann nur die Flucht. Frau Kleiben, die Hbsche, schuf sich eine eigene Welt. Du weisst schon. Diese Puppenwelt. Sie spann kein Stroh zu Gold. Siebastelte diese strohernen Puppen, wah. Oh, Sie war schn. Gisela Kleiben ist schn gewesen. Was ist los mit Dir, Mannorino? Hr jetzt mal auf. Was interessiert dich meine Mutter?“ „Du denkst an Sie, du fragst dich, was sie zu allem denkt, nun, natrlich denkst du auch anders, an andere, was die so denken. Warum knnt ihr sie nur nicht lesen, diese Gedanken? Dann wrde es sich schmettern, das Innere, Schmetterung werden. Manche wrden zur Salzsule erstarren. Aber das gibts nicht mehr. Nur die Worte sind brig geblieben“ „Weisst Du was Mannorino, ich glaube du bist ein Blffer. Weisst du was das ist, ein Blffer? Du redest dermassen klug daher, aber in deinem Innern bist du ein einsames, kaltes, gemeines Stck Felsen“ „Ach ja, meinst Du?“ „Ja, und voller Sehnsucht und du weisst nicht einmal, wo dich deine Sehnsucht hinzieht, du kannst keinen Ort angeben, du freust dich, wenn die Flgelspitzen dich kitzeln, ja die Bergdohlen, oh ja, da schnellen deine Gefhle mit in die Tiefe, aber mit den Dohlen am Abend sind die verschwunden. Die Sterne glnzen auf deine kalte, feuchte Stirne und wie du dich auch bemhst, du kannst ihre Bahn nicht lesen, nicht lesen. Du versuchst es, du krampfst dich zusammen. Was hast du mit diesen Sternen zu tun? Du findest keine Antwort. Der Bergbach weint es fr dich aus, du kannst es nicht, er schttet seine Wasser hinunter, nur weiss seine Sehnsucht das Ziel. Du nicht. Du kannst Lawine, du kannst Zerstrung. Du bist verloren“ „Ach Grit“ murmelte der Steinhaufen mir wird bel von deinen Worten. Er stand auf und stampfte auf den Brckenboden. Es klang hlzern. Bum. Bum. Mannorino. Dann trat er gegen die Brstung. Einmal. Zweimal. Beim dritten Mal krachte sie durch.

Da hast du es! Du kannst nichts aushalten, gar nichts aushalten“ sprach Grit weiter, whrend Mannorino sich in die entstandene Lcke der Brstung setzte Meine Mutter konnte etwas aushalten und ja, sie war schn, jedenfalls in mir. Sie ging mir wie eine Sonne auf. Die Nebelfelder hrten auf sie, verzogen sich, wenn sie kam. Anfangs. Schon. Ich habe mich immer gefragt, wie sie dies in mir tun konnte. Die Nebelfelder zum Verschwinden zu bringen. Zaubern konnte sie damals. Ich denke sie kann es noch, nur zeigt sie es nicht. Das ist vielleicht der Grund, warum ich an sie denke. Ausser dass sie meine Mutter ist, wenn du verstehst was ich meine“ Mannorino schwieg. Er nickte nur leicht mit seinem Kopf nach vorne, dann nach links und rechts immer so leicht hin und her. Ich weiss brigens was du denkst. Nicht immer natrlich. Aber oft. Es ist wie ein Sog ber der Stirn, ein leichtes Suseln.“ schnurrte Grit vieldeutig. Klar“ gab Mannorino knapp zurck. Du glaubst mir nicht?“ bohrte Grit. Du hast den Felssturz nicht kommen sehen“ murmelte Mannorino.Stimmt, da habe ich nicht aufgepasst“ „du hast es nicht kommen sehen und schlgst dich jetzt mit mir notgedrungen durch“ „stimmt“ gab Grit zurck.

 

Die Nacht hatte Sterne gebracht. In kaum lesbaren Zeichen waren die Bilder ber die Kpfe von Grit und dem Steinmenschen gewandert. An die Bank gelehnt trumte der Stein von der langen Zeit in Ruhe, von schttenden Gewittern und klirrenden Wintern. Dazwischen flog dieser Komet wie eine Fahne zerfetzen Stoffes mit seltsamen Mustern. Jemand musste diese Fahne schwenken, ins Licht halten, ein Zeichen geben. Der Stein hatte viel und lange im Sternenlicht getrumt. Dabei hrteten seine Schichten. Dasein lag ber Dasein. Schmal dazwischen gelegt

derchen von Staunen. Diese Wechsel waren unverstndlich. Im Ziel. Im Weg. In der Tat. Wie die Menschen ankamen, wie sie weiter gingen. Rtselhafter als alles. Und dann diese Wut. Sie bildete eine eigene Schicht. Unruhiges hing an ihr. Hatte sich weltber mit den Zeiten verbunden. Wut war das Aushaltbare unter den schattenden Krften. Anderes, das Krasse, Brutale kostete um ein Haar den Verstand.

Grit dachte die ganze Zeit daran, jetzt erwachen zu mssen. Daran merkte sie, daß sie in den Schlafbergetreten war, aber das wollte ihr nicht passen. Die Klnge aus dem Tag waren zu deutlich, zu aufreibend, als das irgendwie Ruhe in sie einkehren knnte. Aber die hatte sie ntig. Etwas Blaues begann sich auf sie zuzubewegen, eine Khle um die Fesseln. Die Dinge begannen, sich in ihr zu berwerfen, glitten auseinander und erzeugten diese anderen Muster. Irgendwie kannte sie es, hatte sie schon gesehen. Andererseits war da Fremdheit: den Blick wegzudrehen, nicht hinschauen wollen. Ja, sie wollte wegsehen. Vom Stein wegsehen. Er muss weg. Er soll verschwinden. Aber das wird nicht geschehen. Alles sprach dagegen. Man musste nicht so klug sein, wie sie selbst, um das wissen zu knnen. Sie wusste auch um diese Schwchen. Das Einmal Erkannte nicht im Fokus zu behalten sondern daneben abzutauchen. Wie oft das gut gehen kann, fragte sie sich oft. Es krachte. Holz splittert vor ihr. Dann schob sich das Wasser um ihre Waden hoch und khlte den Brand.

Mannorino befand sich im Dunkel. Das war tiefschwarze Nacht, wie er sie oft in Einsamkeit bebrtet hatte. Was soll da nur herauskommen. Wer brtet schon auf Schwarz? Aber wer weiss. Es gab sie doch, die Geheimnisse. berhaupt das mit der Entstehung. Jedes noch so kleine Ding konnte einen anschreien: Woher komme ich, sag mir, woher ich komme. Er wollte sich die Ohren zuhalten vor diesem Geschrei. Oder zurck brllen: «es ist mir egal, woher Du kleines Ding kommst. Sag es Dir selbst und halte Deinen Mund.» Aber sie gaben nie Ruhe. Vorlaut und unstet brachen sie wieder und wieder das Schweigen: «wer sind wir, sag es uns, gib uns Namen.» Nur ein paar Mal hatte er es versucht, halbherzig, wie er es sonst nicht mochte. «Du bist ein Spatz aus den Drfern unten.» «Bin ich nicht, bin ich nicht.» «Eine Drossel von ber den Bergen bist Du ich seh es genau.» «Bin ich nicht, doch niemals eine Drossel, du weisst ja gar nichts.» «Na dann Grnspecht: du bist der Grnspecht, der immer im Frhjahr auftaucht, gierig, Sprossen abzupflcken.» «Überhaupt nicht du dummer Berg, wer hat Dir berhaupt schon etwas beigebracht du Stockfisch vom Berg.» Er hatte es nicht zustande gebracht. Die Dinge hatten niemals aufgehrt, ihn zu rgern. Doch jetzt war es anders. Dieses blau- weiss. Er hatte diesen kleinen Punkt zuerst gar nicht beachtet. Erstens war er langsam. Dann flog er nicht richtig. Alles was fliegen konnte erregt sofort die Aufmerksamkeit. Dieser Punkt wackelte so langsam nach schrg oben und kam nher. Doch dann war doch etwas in die Luft geflattert, lustig und berraschend flott, kleine beflgelte Dinger, ein wenig ziellos, es konnten keine Vgel sein. Bei Vgeln konnte er den Flug berechnen, er wurde niemals berrascht. Hier klebten seine Augen am Aufschwrmenden und versuchten stndig, nachzuschrfen. Ausserdem nderte sein Herzschlag. Es gab sonderbare Klnge, die hallten an den Adern entlang. Trafen sie auf irgendeinen Kristall, dann gab es immer ein helles Pling. Pling Pling. Das kitzelte. Er wollte sich nicht freuen. Er wollte nicht weg aus der Dunkelheit. Er hatte auch keine Angst vor den Schreien aus der Tiefe. Was half schon ein Schrei. Was half berhaupt. Das Nichts wird ihn belassen. Egal, welche komischen Gedanken ihn umkreisten. Wer nur, gab ihnen solche Kraft?

Der Morgen kam, wie es beide nicht erwarteten: mit Milde. Das Schwarz wich dem Tiefblau. Dieses hellte sich vorsichtig auf. Es glitt ber die noch trumenden Kpfe. Beide Fuste Mannorinos lockerten sich und knackten. Grit merkte ihren geffneten Mund und hrte die Stimme noch flstern: "was nur willst du sagen Grit, was noch nicht gesprochen wurde?" Mit einem Ruck setzte sie sich auf und streckte sich zurecht. Ihr Handy gab ein pling von sich. Reinhards sms. "Wo steckst du denn? Ich mache mir langsam Sorgen. Seit drei Tagen habe ich nichts von dir gehrt- bist du in Ordnung? Melde dich doch bitte, dein Reinhard." Pling. Mutters sms. "Was ist denn los Grit, was ist los mit dir, Reinhard hat angerufen, er macht sich Sorgen, warum meldest du dich nicht bei ihm? Vater ist den ganzen Nachmittag auf und ab gelaufen, es sah komisch aus, er rupfte das halbe Beet zurecht, das tut er sonst nie. Bitte Grit ruf doch mal an, gel? Mutti"  Pling. Samaras sms. "Pfingstrosen, Grit, Pfingstrosen. Die Knpfe sind gewachsen, seit du in den Bergen bist. Wenn du kommst geht die erste auf, um dich zu begrssen. Aber wann kommst du? Du hast nichts gesagt. Cello wartet auf dich, es hat ein paar neue Klnge gefunden. Umarmung lieb. Samara" Pling. Isis sms. "Meine Liebe Grit. Vorhin ist ein Klblein zur Welt gekommen, die Mutter hat einen tiefen Ton von sich gegeben, dann ist es nur so rausgeflutscht. Die Mama Erna hat es geschleckt, dass ich um das kleine Ding Angst bekam, es hat dann gebrummt mit seinem Stimmchen, dass ich beruhigt war. Wann kommst du? Du hast gesagt, vor Pfingsten, das wird dann ganz schn knapp, gel, ich habe beim Holzen mitgemacht: kalt kann dein Zimmer nicht mehr sein. Knuddelumarmung deine Isis" Pling. Muriels sms. "Liebe Grit, ich bin so aufgeregt, ich muss dir unbedingt etwas erzhlen, unbedingt. Karson hat mir ein Angebot gemacht, aber was fr eins, das darf man gar nicht laut sagen, abgefahren. Bist du noch in den Bergen? Du weisst ja, was ich von den Bergen halte, aber anyway, Berlin wartet auf dich, liebe Grsse, Muriel" Pling. Vater sms. "Liebe Grit, hier blht der Garten, was ich zum ersten Mal bewusst erlebe, ich laufe auf und ab, schaue und muss des ftern an dich denken. Mutter macht sich Sorgen, da du dich nicht sehr oft meldest, aber ich denke, dass du ja gut zurecht kommst, Grit, ich bin Stolz auf dich. Melde dich doch mal, wenn du kannst"

Grit drehte der Kopf. Ihr schwindelte. Das waren Rufe aus einer anderen Welt. Sie war gemeint. Klar. Aber sie fhlte es nicht, es passte nicht mehr aufeinander. Falscher Deckel auf dem Objektiv. Das dichtet nicht normal ab. Sie schaute nach rechts. Da sass der Steinhaufen zusammen gesunken und brummelte komische Sachen vor sich hin, halbwach. Komische Farbe im Morgenlicht, irgendwie braunrot. Vielleicht ging es ihm nicht gut. Vielleicht wollte er ja zurck? Nix da, bleib mal ruhig, darauf kann niemand hoffen. Der hat sich festgefressen an dir.

 

Die Schichten. So nannte er dieses Geschiebe unter ihm. Eigentlich war es immer da, eine fortlaufende Nahrung aus Zusammenballung und Verwerfung. Im Frhling wurde es fr gewhnlich strker, bisweilen unertrglich, um dann im Sommer, knapp unter der Waldgrenze, so zu vibrieren, dass er ausser diesem schrecklichen Ton kaum etwas anderes mitbekam. Es zerieb ihn frmlich. Keinerlei Rufen hatte eine Antwort gebracht: «was willst du von mir? Warum tust du das?"  Er wusste nichts ber dieses Du. Gar nichts. Aber er musste es so ansprechen, sonst wre es ihm vergangen. Es verleidete ihm alles mgliche. Seinen Blick in die Weiten des Blau. Normalerweise wrde er dabei ruhig, nach oben wrde er gezogen, als ob er wachse, wie diese seltsamen Kinder auf Ausflgen, im Schlepptau der ehrgeizigen Eltern. Die waren so frhlich in ihrem Innern, wenn sie in die Nachbartler starrten, wie bekloppt, zeigten die Mnder nach oben. Der nach links gekippte Neumond. Aber von unten quetschten ihn irrsinnige Fuste zusammen. Muksmuschenstill. So wurde er. Anders war es nicht auszuhalten. Und das Blau zerstieb. Oder das Grn der Matten. Wenn es dann aufhellte und der Bergfrhling sich darber breitete, als gbe es etwas zu feiern. Was sollte das fr ein Fest sein? Er kannte sie nicht. Aber das Grn wollte zum Fest fr ihn werden, sprach zu ihm, freundlich, ja ordentlich und tat, als kennte es ihn. Es klapperte richtig in den Grotten. Boah. Dann nahm ihn etwas gefangen und drckte ihm die Luft ab. Ist ja gut, chzte er, ist gut. Das half manchmal. Oft wurde er verrckt. Dann dreht sich oben und unten gegeneinander. bel. Nicht das Rot am Morgen zu nennen. Da wars zum Weinen. Als ob er schmolz und das Licht in sich aufnhme. Das wre mal eine Mondschale. Das knnte er mal tun. Mondmann. Vielleicht wrde es dann anders. Nur schon dieser Gedanke. Dann kam der Schatten von unten und presste sich gegen seine Augen. Keine Sternchen. Nur Gehhltes Schwarz ber den Adern. Alles wurde dann so langsam, dass er sein Bewusstsein verlor.

Was war das neben ihm, schaut so verstohlen drein, denkt sich Sachen aus, strauchelt unentwegt, ein Menschin, bisweilen hbsch, wenn das Licht gnstig schien, konnte er sachte zu zittern anfangen, die Knie und die Hnde waren dann betroffen, es passte ihm nicht, gar nicht. Sie hatte ihn auf den Plan gerufen. Ihn in seiner Ruhe gestrt (er hatte gar keine Ruhe) und seine Plne durchkreuzt (gar keine Plne). Er knnte sie zerquetschen, unter sich begraben, zermalmen. Das wrs. Die Qualen auf sie drauf wlzen, wie Wackersteine. Dann gemtlich gegen Sden stapfen und am Berg aufrumen. Sich wieder in die Wand schmiegen. Er hatte also Optionen.

«Hey Steinknabe. Ich wusste nicht, dass die schlafen, die Felsbrocken. Hast du gut getrumt? Du redest whrend der Nacht, was nichts Gutes verheissen muss. Es klang wie ein Alp. Hey Felsbrocken. Aufwachen.»

Mannorino rieb sich die Augen aus, dass es knirschte. «Du brauchst nicht so zu tun, als wrdest du dich interessieren. Ich weiss, dass du mich zurck wnschst, nicht in die Wste, klar, ins Gebirge. Was steht an?»

"Heimat steht an"

"Heimat, diesen Begriff habe ich noch nicht recht verstanden, Grit, kannst du mir doch bestimmt erklren, denn du gibst vor, klug zu sein. Sag mal. Ist es, dass wir uns jetzt gleich in Bewegung setzen und ins Auto steigen? Dass wir berhaupt darber sprechen? Dass ich frage?"

"Ach du Steingrbel, es ist doch ganz einfach. Klar hast du Mhe damit. Du musst den Begriff einfach mit dem verbinden, was man gemeinhin Familie nennt. Bingo"

"Familie? Du meinst Mutter und Vater? Da du dich durch den engen Kanal durchgequetscht hast und deine Mutter schrie wie am Spiess"

"Hey aufgepasst"

"Sie gab dir Milch, ok, du warst eine Nuckelerin viele Jahre, tiefe Schlucke in deine Kehle, eine starke Verbindung, organisch, ssslich, weiss. Ich gebe zu: das ist etwas. Aber jetzt lsst du ja die Brste deiner Mutter so ziemlich in Ruhe. Also: was bleibt? Willst du Heimat ber Vergangenheit beweisen? Dnn, sag ich, dnn"

"Beziehung ist es, kannst du natrlich nicht kennen. Das was zwischen uns entstanden ist"

«Entstanden ist, entstanden ist.
Vergangenheitsform. Was ist mit der Zukunft? Ich setzte sie mal an den Anfang. Ich weiss, dass du Probleme damit hast- was soll werden? Was willst du werden? Was wird dich aufnehmen, dich halten, dir raten, dich tr
sten? Verloren bist du, wenn du jetzt nicht antwortest"

"Haha. Du machst mir keine Angst. Ich habe meine Plne"

"Plne? Mit Herrn Strk, deinem Reinhard? Versicherungsangestellter mit mssigem Abschluss? Ich sehe nicht mal einen Verlobungsring, Gritchen, kein Glitzer und Glimmer. Ich sehe keine Rosen, keinerlei Duft aus dem Osten, ich sehe nichts im Rot, der hat dir nichts reingeschrieben. Auf Schiefer schon, da stehen ein paar eingeritzte Gedanken, schwach schimmernd, mit kleiner Nadel aufgetragen, krakelig, nervs. Ist es das?"

Sie schwieg.

"Oder vielleicht mit deinem Cellomann. Unsglicher Name, Samara, Samara, wer vergibt denn solche Namen? Allerdings sehe ich da mehr, nicht sehr sehr viel, aber da gibt es immerhin ein paar Blumen, Vergissmeinicht, Akelei, das schon. Aber seine Trume knnen es nicht eindrcken, sie sind diffus, hinterlassen wenig Spuren, eine Ahnung vielleicht, allerdings fehlt die Resonanz. Dir fehlt es an Mut, Menschin. Ohne Mut wchst da gar nichts. Das ist immer noch so etwas von verlassen"

Noch immer Schweigen.

"Die andern, wie deine heissgeliebte Isis, diese naive Streberin, oder Pieter, der dich sofort mitnhme, da wollen wir gar nicht reden, auch nicht ber Maria Kronauer oder diesen Ralph. Muriel mchte ich als Gegenstand nicht mal berhren, ihr Chef ist so scharf auf sie, dass sich die Balken biegen, wie kann einen so etwas nur schmeicheln, Grit, wie nur? Ihr seid ein komisches Vlkchen, meine Liebe, ohne Heimat, mchte ich sagen, heimatlos, du jedenfalls, wie sehr du dich auch dagegen strubst"

Grit war schon lngst aufgestanden. Den wrde sie nicht los, ganz klar. Wrde sie mit ihm fertig? Woher kam der blos? Offenbar verfgte der Stein ber gewisse Informationsquellen. Warum wurde sie nicht rasend, wenn es doch nicht sein konnte? Sie musste ihm manches zugestehen. Wie genau er in ihr lesen konnte, lies sich im Augenblick nicht mit Sicherheit feststellen, aber es ging ihr definitiv zu weit. Er wandte etwas auf sie an, das einen Grad an Seltenheit zeigte, dass sie lange darber nachdenken musste, wann sie irgendetwas hnliches von einem anderen erfahren hatte. Es war unmittelbar. Und schnell. Gar nicht verlegen. Stark.

Grit drehte diesem Monster den Rcken zu und lief weg. Die Knie waren Buttersulen, die sich nur wie in Zeitlupe heben und senken liessen. Das Humpeln war so deutlich, das jeder ihr bekannte Trick keinerlei Effekt zeigte. Es liess sich nicht beschleunigen. Es lief etwas Salziges aus ihren Augen heraus. Mit den rmeln wischte sie es trotzig weg. Das ging viel zu weit, viel zu weit. Jetzt aus der Zeitschlaufe ausbrechen. Sie konnte nicht aufrufen, wann Weinen das letzte Mal Thema war. Konnte es sein, dass Reinhard Strk daran beteiligt war? Das nur nicht GLAUBEN mssen. Allein schon dieser Begriff. Eine Zumutung sondergleichen. Wie die Menschen auf ihn angewiesen waren. Das Fleckchen der Gewissheiten war so ein schmales Eiland in einem Ozean von Geglaubtem oder Unwissenheit. In diesem Ozean schwammen die Vorstellungen wie Schwrme von Sardellen, Vorurteile zogen wie Walfische am Horizont. Und immer die gleichen Wasserfontnen. Ja. Man erkannte die Fontnen der anderen. Nun, sie liebte ihre Insel, ein ordentlicher runder Fleck, der sich wundervoll abgrenzte, gegen das angelagerte Blau. Hinter den Palmen, strandnah, hatte sie ihr Huschen mhsam errichtet. Im unteren Stock waren ihre Bcher, die Wohnkche mit Terrasse. Da konnte man sitzen, sinnen und hrte noch die Brandung. Oben gab es einen einzigen grossen Raum mit Fellen und Flgel und Gitarre; abwechselnd auf ihnen zu spielen und auf dem Balkon durch die Palmbltter aufs Meer zu sphen gab eine Ruhe, ein Glck, die vergessen liess, das weithin Unbekanntes sich erstreckte. Mit Reinhard war es aber gewesen. Da kannte man sich kurz, es gab diesen komisch vernderten Herzschlag, wenn man an den anderen dachte. Dieses: was bringe ich ihm mit, was wrde ihn freuen, was ziehe ich nur an. Es war zur Nhe gekommen, wie es manchmal geht, man hatte die Schwelle berschritten und die Krper waren der Seele gefolgt. Warum es sie traurig gemacht hatte, war ihr unklar geblieben. Die Vorstellung hatte darauf gepocht: es ist der Wunsch gewesen; er hat sich eingelst. Erlsung war es nicht. Etwas war nicht eingetreten, hatte sich nicht verbunden, trotz der schmiegsamen Krper.

Wer hatte ihr denn diese Erfahrung versprochen? Konnte man dahinter fragen? Aus den Umarmungen der Mutter kam es nicht. Die Entfernung war zu deutlich, obwohl das niemand wahrhaben wollte. Und der Vater? Dass er ihr aus den Regalen des Supermarktes die begehrte Schokolade reichte, die Aprikosen-Kekse? Damals umarmte sie ihn zum Dank, aber war das nicht komisch, wegen Keksen solch ein Aufheben zu machen? Hinter der Haut fing es doch erst an, dort wo alles seltsam strmt und in Wrme getaucht ist, der Herzschlag wie ein feiner Seismograph jede kleine Atemanwandlung sacht beantwortet, staunend, ob es da etwas zu finden gbe, was nicht festzuhalten ist, wo man sofort Angst bekommt, dass es vergehen knnte?

Dieser Wunsch. Das es bleibt und immer grsser wird. Ein Boden, aus dem die schnsten Bume immer grsser werden. Ihre Landschaft war wild. In der Schule hrte sie von Tundra und Taiga. Sie konnte dem Lehrer nicht sagen: schauen sie doch mal meine Strucher an: wie heissen die

denn, was sollen die denn, wie geht denn das?
Aber fertig war sie nach der Schule nicht, im Gegenteil. Sie f
hlte sich unfertig wie niemals zuvor. Alles Nachfolgende war auch eine berdeckung ihrer wilden Gebiete. Den Bewuchs konnte sie nicht steuern, sie verstand nicht, warum manches gedieh und vieles verdarb. Ein Mensch betrat einen Landstrich, ging darinnen ein wenig spazieren, sah sich um, murmelte dies und das. Da entstand pltzlich eine Flussbiegung, eine Lichtung zeigte Farn, auf einer Ebene wellte sich Getreide. Kaum war dieser Mensch verschwunden, darbten die Gewchse, gaben einen seltsamen Ton von sich. Viele gingen wieder ein. Reinhard hatte sie gespalten. Eine seltsame Landschaft war entstanden. Wlder zogen sich dahin mit Gehegen. Was sollten diese Bisons im Wald? Immerhin gab es manchmal auf dem Pfad Rehe zu sichten, aber mehr als 7 Meter Abstand lag offenbar nicht drin: dann flohen sie panisch ins Untergehlz. Tief in ihr drinnen hatten sich die Fragen scheusslich entzndet: was Begegnung sein knnte, wie ein Miteinander noch anders sich anfhlen knnte. Sie kam unter Spannung. Das war klar.

 

Mannorino starrte in Grits Rcken. «Sie humpelt und denkt nach». Er konnte ihre Gedanken spren wie Bewegungen im Sonnengeflecht. In den Bergen hatte alles einen anderen Rhythmus gehabt. Deutlich ruhiger. Der Wechsel der Jahreszeiten strich ihm da ber seine Felsenstirn, jedes Jahr, immer etwas anders, aber wieder zu erkennen. Hier am neuen Ort war alles schneller und wenig verlsslich. Er wußte schlicht nicht, was als nchstes kam. Bei ihren Freunden und Herzigen hatte er etwas gemauert. Er hatte die Lebensversicherung vor Augen gehabt. Isis Kiersal, was war das nur fr ein Name. Auszubezahlen im dreissigsten Jahr nach Datum der Unterschrift. Diese war ein nicht zu entzifferndes Gekrakel. Er konnte die Fragen darinnen spren. Verstehen konnte er es nicht. Was hatte sie denn? berhaupt waren diese Dokumente lcherlich, wofr konnten sie stehen?

Er vermochte das Gebiet im Herzen von Grit zu entziffern. Handschriftlich stand da drauf: Meiner lieben Isis zum Gedenk, als es begann, weiterging und wie es nicht endet. Das war in der verborgenen Schicht des Herzens. Er konnte die Farbe nicht benennen. Rtlich-blulich vielleicht, sachte pulsierend. Dann kam wieder dieses Grollen, ein Aufwerfen, ein Ausbruch aus der Erde, als ob der Stein um die Brust herum zusammen gezogen wrde, bis an die Atemgrenze nach innen, nur wrde es eine zeitlang nicht mehr loslassen, sondern ihn schnren, einem seltsamen Packet gleich, was niemand haben wollte, eingeschrieben. Alle seine Krfte nahm Mannorino auch jetzt zusammen, wartete den Vulkanausbruch ab, whrend Schattenbilder auf der Steinbrust aufflimmerten, ein viel zu schneller Film, mit quiekenden Geruschen, und jedesmal gab es Streit, fetzten die Worte herum, Beute schlagend, holte jemand zum Schlag aus und dann gab es unmssiges Geschrei, ausufernd, grollend und verletzend. Bisher hatte er, neugierig wie ein Kind, wieder und wieder direkt in diesen Orkan hinein geschaut, sein Inneres von den Gewalten hin und her schleudern lassen; die Wipfel der Baumgrenze schwankten dann merklich, nicht fr die Wanderer, denn er meinte, wie sie denn trotz Augen, blind seien fr solche Naturgewalten, die «Nichtseher» hatte er sie bisher immer genannt. Die «Nichtseher» aus den Tlern, blind und taub fr Mikrobeben, und von weiter her noch. Diesmal aber begann noch etwas anderes in ihm herauf zu strmen. Er wollte nicht mehr in diesen unsglichen Sturm hinein schauen. Trotzdem lief der Film weiter, stoppte nicht. Grit rief: "Du bescheuerte Isis, meinst wohl, Du seist etwas Besseres, einem anderen Leben verliehn, mit deiner Erfllungssehnsucht, deiner Begegnungsfreude"  und Isis schrie mitten dazwischen "Du berechnende Lschfackel, du Hasenfuss, lebensabgewandt und gealtert, du Ahnungsfetzen..." er wollte nicht mehr hinhren, das Steinohr schliessen und an einem anderen Ort wieder ffnen, auftauchen aus diesem Fluch.

 

In diesem Augenblick ffnetet sich fr Mannorino die Ebene und ein schmaler Pfad tat sich chzend auf. Zwei Suchende, mit Ruckscken bestckt und geflochtenem Haar, ruhig wippend, bestiegen den Pfad in die Berge. Mannorinos Blick folgte den durstigen, den traumgewalgten Gestalten. An Zunen entlang, stieg der Weg in die Hhe. Er besah sich die Hrner der Bergkhe, wie sie ebenfalls auf und ab wippend, immer kauend, schwer im Gras lagen. Die Drehung der Hrner war seltsam. Ob sie dadurch nach draussen strahlten oder dieses ganze blau-weiss Gescheckte, was ihm bekannt war, in ihr Inneres floss, die Himmelsmilch nmlich (wie er es sich heimlich nannte), konnte er nicht sagen.

Fast schon einen halben Tag lang ging es aufwrts. Dann bog der Weg links von den nur noch sprlichen Tannen steiler hinauf ein. Das letzte Stck. Oben auf einem Wiesentableau stand ein altes Scheunenhaus, mit zwei Bnken und einem Tisch davor. Eine Wasserpumpe mit Trnke hauchte dem ganzen Bild etwas Eigenwilliges ein . Mannorino sah sich um. Nun ja. Nicht ganz das, was er lange Zeiten hindurch, als sein eigen betrachtete, aber er musste zugeben, dass es seinen Reiz hatte: Sicht in die Tler, in der Ferne die Schneegipfel, gleissend und ehrfrchtig, still. Die beiden Freundinnen verschwanden in der Scheune. Er setzte sich an den Felsrand zu den Steinen, liess seine Beine in die Tiefe baumeln. Was sollte da denn kommen? Weit rechts von ihm rauschte ein Wasserfall in die Tiefe, immerhin. Ein Aar zog Kreise und whrenddessen wurde das Innere ruhig, wie lange nicht mehr. Mannorino versank in einen schlafhnlichen Zustand. Lange. Dann drehte sich der Horizont um 180 Grad, langsam bog sich das Panorama um, nach innen. Er schaute durchs Fenster in die Stube. Die beiden Wandersleute hatten offenbar Feuer im Herd angezndet. Ein riesiger Topf dampfte vor sich hin. Etwas Seltsames hob ihn in die Hhe und konnte ins Schlafgemach schauen. Auf dem Bett lagen die geffneten Ruckscke. Keine Isis, keine Grit. Es wurde ihm mulmig bei dieser Szenerie. Warum nur sollte er in diese Htte schauen? Was ging ihn das an?

Der Abendhauch, welcher fr gewhnlich um die blaue Stunde herum die Wipfel umspielte, bewegte ihn um die Htte herum. Auf der Hinterseite war ein Schopf angesetzt. Der zog nach oben und endete in zwei grsseren, geschlossenen Toren. Es gab mehrere ffnungen unter dem Dach. Die Ziegel waren in Muster gelegt. Er blinzelte vorsichtig in eine der ffnungen hinein. Langsam hellte sich das Bild auf, begann sich zu bewegen und gab Tne von sich.

Durch die Schwalbenfenster drangen Streifen von Licht auf den erhhten Heuboden und teilten den Raum in flimmernde Felder. Das Heu duftete. Das erste Heu, vom Frhjahr gegeben. Grit lag auf dem Rcken und streckte alle Viere von sich. Sie hatte ein Kleid angelegt und strahlte. Isis sass im Schneidersitz an ihrer linken Seite und hielt Grits Hand. Sie strich an den Linien mit ihrer Fingerbeere entlang und erzhlte Geschichten vom Frhjahr. Mit einem Kerl war sie auf dieser Hochalp gewesen, hatte mit ihm zusammen geheut. Im Bett neben ihr hatte er geschlafen. Sie immer im Schopf. So sehr habe sie sich gewnscht mit Grit hier zu sein, auf dem getrockneten Gras zu schlafen und tief in der Nacht die Sterne anzuschauen. "ach Isis" seufzte Grit. "Ja, es ist so, ich habe dich vermisst, vermisse dich immer" "Isis, ich bin fr dich da, wenn du mich brauchst, das weisst du, gel" "ja, aber du hast dich verndert, ich kann das gar nicht glauben, oder ich selbst habe mich verndert und jetzt erscheinst du in anderem Licht. Ich glaube aber schon, dass es mit Reinhard zu tun hat, doch doch, du bist so nachdenklich geworden" "na Isis, du musst mir etwas von Nachdenklichkeit erzhlen" "aber du warst immer so schnell, hast die Dinge rasch erfasst, ihren Ursprung und ihre Zukunft und so hast du auch mich erkannt, oder zumindest wichtige Teile" "ich sehe dich immer noch liebe Isis" flsterte Grit und drckte sanft die Hnde. "nun, was siehst du dann jetzt?" fragte Isis neckend. "ich sehe einen Heuschober und zwei Suchende darinnen, liebe Isis, und die werden sich vieles erzhlen und glcklich miteinander sein und eine von beiden wird zuerst die Sternschnuppe sehen und darf sich etwas wnschen" plapperte Grit "Nein, nein wirklich, was siehst Du?" "ach Isis, ich sehe, dass du Stefan, deine

Heu-Hilfe nicht wiedersehen wirst, ich sehe auch, dass du hier auf der Alp nicht die Menschen treffen kannst, die fr dich wichtig sind, mich einmal ausgenommen, die warten in der Stadt, auch wenn du das nicht wahrhaben willst. Du musst an die Uni, Isis, ich weiss, dass du die Assistenten-Stelle nicht annehmen mchtest, aber da sind noch Begegnungen offen, du wirst auch nicht dort bleiben, wirst mit jemanden weggehen, der lter als du ist, er hat die Tiefe, die du dir wnschst" "Grit, ich fhle mich dort nicht wohl, die Stadt und die Uni machen die Menschen hart, es funktionieren alle wie die Stassenbahnen, es gibt Ausnahmen, es ist aber nicht mehr Griechenland, die Menschen sind sehr eitel, je mehr Bildung, je seltsamer werden sie, das kann doch nicht sein" Grit schwieg eine kleine Weile und fuhr dann langsam fort "Isis, Bildung ist ein Durchgang, ein Mittel, du fllst doch nicht darauf herein, kannst es doch trennen, ausserdem scheint mir, hat die Eitelkeit erstmals in Griechenland begonnen, schau dir mal diese Krper an!

Wann gehen wir wieder in die Skulpturenhalle?" Isis liess sich auf Grit fallen: "plumps, da hast du es, hast einen Krper, nicht schlecht oder?" Grit drckte ihre Freundin von sich runter und Isis schmiegte sich jetzt an ihre rechte Seite. "was ist mit diesem Reinhard?" "Isis, ich

weiss es einfach nicht! Ich weiss es nicht!" rief sie laut in den Raum hinein "I do not know!" Isis legte ihre Hand auf Grits Mund und flsterte ihr ins Ohr: "du bist

unglcklich, gib es endlich zu" "Nein, ich wrde es dir

sagen, ich bin nur nicht glcklich, aber soll ich das

Reinhard zum Vorwurf machen? Sind die anderen dazu da,

uns glcklich zu machen?" "warum denn nicht?"

flsterte Isis schnell und eindringlich. "Menschen sollen Menschen glcklich machen, sonst htte Mensch-Sein keinen Sinn" "Glck ist eine sehr freies und eigenes Vgelchen, das kommt nicht einfach angeflattert nach ein, zwei Worten" "aber nach drei schnen Worten schon, nicht wahr Grit, nach dreien sollte es gehen"
 Isis legte ihre Stirn an Grits Schulter und atmete langsam und tief. Grit war unruhig. Sie fhlte sich durchschaut. Ein Schatten umhllte ihre Sicht, unbeweglich, stur und lauernd. Jetzt nur kein falsches Wort sagen. Wie oft passiert das immer wieder. So schnell entflattern sie nach draussen, Herzensbrecher mitunter und Wind-Beweger immerfort. Sofort darauf mchte man sie zurckholen auf die Zunge, mit den Zhnen festhalten, hinunter schlucken, dass es ja nicht passiert. Dieses Arbeiten der Worte. Sie graben sich ein, suchen sich unerwartete Nistpltze. Da warten sie dann auf den passenden Moment und kommen hervor. Irgend ein Herz hat mit ihnen gelebt, sich sie trumend eingepflanzt und da haben sie dann berwintert. Lange. Man muss gar nicht erst denken, dass sie schwcher werden. Das Gegenteil ist der Fall. Es sind zeitimprgnierte Wesen, obwohl sie in ihr schwimmen, oder sich einfach treiben lassen. Sie finden immer Wege und fangen an zu strahlen, Fragen aufzuwerfen. Die Fundamente sind dann nicht mehr sicher, werden aufgeworfen, hoch gehoben, umgestrzt. Man bekommt sie nicht mehr in den Griff, sind sie einmal draussen. Sie machen was sie wollen.

"Ok, die drei Worte wurden nicht gesagt. Noch nicht einmal das weiss ich, ob ich es mir vollstndig gewnscht habe, es ersehnt, flsterte Grit" " Na bitte also- da haben wir es. Geh mit mir fort, Grit, weit weg, eine Zeit lang, lass uns reisen, wir zeigen uns die Welt, schlug Isis vor" "Die Welt ist in uns drinnen, alles Unerlste, das Erlste auch schon, uns immer begleitend, uns bewegend, wir mssen nicht weit weg, Isis, der Abstand jetzt zwischen uns reicht vollstndig, gab Grit zurck"

 

Mannorino dachte nach. So kannte er das nicht. Begegnung. Menschen mit ihrer Rede und Widerrede. Diese Linien liessen sich nicht so leicht verfolgen, ihre Ziele, ihre Herkunft, das Ziel. Man msste es also offen lassen, vielleicht behutsam sein, wie auch immer das machtbar wrde- behutsam. Vielleicht einem Vogelnest gleicht, auf den Eiern brten. Er hatte darauf keine Lust. Alles war so offen und labil. Ihm wurde bel bei dem Gedanken, was sich alles entwickeln konnte. Man kann sich unmglich auf so etwas einstellen.

 

Sie konnte nicht zu den Eltern. Sie brauchte eine berechenbare Flche, Linien, die ihr gehorchten. So besuchte sie, zuhause angekommen, Pieter. Er war verlsslich, da er auf sie stand. Niemals war das eine Mglichkeit, aber das zeigte sie nicht. Pieter, alter Freund, koch uns einen Caf. Wir kommen aus den Bergen“ „Wir?“ „Ja ich natrlich“ Mannorino drehte den Kopf weg. Ich war lange weg, ich erzhle es dir gleich“  „Deine Mutter hat bei mir angerufen, stell Dir das vor, Jahre ist es her, dass sie das tat. Aufgeregt ist sie, kann ich dir sagen, aus dem Huschen"  Reg dich nicht auf, Mutter bertreibt. Wie geht es Dir, Pieter?“  "Jetzt da du da bist gut. Hast Du noch frei?" "Ich gehe aufs Hausboot am Wochenende, wie wrs Grit? Du hast das noch nicht gesehen, du wirst Augen machen, man kann schwimmen. Ich koche fr uns. Du musst nichts machen. Komm schon, gib dir einen Ruck“ Mannorino klackte mit dem rechten Fuss. Dann mit dem linken. Pieter schaute.

Grit berlegte einen Moment. Warum denn nicht. Zwar wurde keines ihrer Probleme gelst, aber sie gewann Zeit. Das hatte etwas. Gut Pieter, warum nicht, lass uns aufs Boot fahren“ Mannorino hob seinen Kopf und runzelte die Stirne. Wie bld muss man sein, dachte er, sagte aber keinen Mucks.“ „Menschen sind machmal so“ dachte Grit. Sie wusste, wie recht das Steindings hatte.

 

Ruhig lag das Hauboot an der linken Seite des Stegs. Das Wasser war vllig beruhigt, ein

Spiegel. Traum der weissen Schfchen. Beide blieben stehen. Und besahen sich das Weiss-Blaue.

Weit, wie eine sanfte Schlinge, dehnte sich ein dunkelgrner Pflanzenring, silbrig schimmernd bisweilen, zitternd. Keinerlei Menschenseele zu erblicken, zu hren. Wie nur hatte Pieter diesen Ort gefunden? Pieter. Aus dem Dach des Boots kruselten Rauchwolken. Hm. War das Thymianduft? Mannorino verdrehte die Augen. Das ist deine Henkersmahlszeit.
Billig, sag ich. Armes Ding“  „lass gut sein, Grosser, lass es stecken, jetzt siehst du mal, was Freundschaft zustande bringt“  Beide setzten die Fsse auf den viel zu langen Steg, watschelten langsam auf den See zum Boot.